Sunday, August 12, 2007

Viva La Revolution! - Teil 4

Der autonome Teil unseres Gehirns ist sehr alt - ein Überbleibsel aus grauer Vorzeit. Deswegen hört man auch immer wieder die Begriffe eines reptilischen Gehirns, etc.

Um das Überleben zu sichern ist es wichtig sehr schnell reagieren zu können - was sich in den zahlreichen Reflexen zeigt die wir alle "in" uns haben. Reflexe sind automatische Reaktionen die uns ohne Überlegung aus einer Gefahrensituation befreien sollen. Wir haben keine bewusste Kontrolle darüber.

Diese Aufteilung geht sogar soweit dass unser visuelles System in zwei getrennte "Pathways" aufgeteilt ist - den "where" und "what" pathway.

Der "where-pathway" hat nur eine Aufgabe: unserem Gehirn möglichst schnell die Lokalisation eines Objektes mitzuteilen das sich auf uns zubewegt (damit wir schnell flüchten bzw. abwehren können).

Wenn jemand einen Ball auf uns zuwirft ist es für unser Gehirn (und unsere Gesundheit/Sicherheit) erstmal völlig unwichtig welche Farbe dieses Objekt hat - nur die Richtung, die Geschwindigkeit und der Kurs sind entscheidend; dieser Teil der Informationsverarbeitung passiert in weniger als 100 Millisekunden. Haben wir uns dann in Sicherheit gebracht und haben mehr Zeit uns um das Objekt zu kümmern dann nehmen wir erst bewusst die Farbe und die genaue Form des Objektes war - das dauert über 250 Millisekunden.

Da diese beiden Pathways voneinander getrennt laufen, d.h. sie sind anatomisch eigenständig im Gehirn nachweisbar, kann man sie auch getrennt voneinander untersuchen.

Es gibt ein klinisches Phänomen namens "Blindsight" das dies sehr gut demonstriert: diese Patienten haben durch einen Mikro-Schlaganfall oder Tumor, etc. den "what" pathway verloren - er steht nicht mehr in Verbindung mit dem Bewusstsein, d.h. sie sind blind weil sie nicht mehr bewusst sehen können.

Trotzdem sind sie in der Lage die Position von Objekten im Raum zu bestimmen (zu erahnen). Die Trefferquote liegt dabei deutlich über dem was man erreicht wenn man nur raten würde.

Für normale Menschen hat diese Einteilung in 2 Pathways aber auch eine sehr wichtige Bedeutung: will man konzentriert an etwas arbeiten dann ist es wichtig dass im Sichtfeld und im peripheren Sichtfeld möglichst Ruhe herrscht - sonst werden wir über den automatischen Stellreflex ständig aus unserer Konzentration gerissen.

Der Stellreflex bewegt den Kopf nämlich automatisch in die Richtung in der eine Bewegung oder ein Geräusch auftaucht. Das war zu Zeiten von Säbelzahntigern und anderen Raubtieren in der Umgebung unserer Vorfahren ganz nützlich - und deswegen haben wir auch heute noch die gleichen Mechanismen in unserem Gehirn.

Auch "Visual Clutter", d.h. eine Umgebung mit jeder Menge kleiner Details lenkt unglaublich ab; deshalb sinkt die Produktivität enorm wenn der Schreibtisch an/auf dem man arbeitet mit Dingen übersäht ist.

In der (visuellen) Ruhe liegt die Kraft. ;-)

Harmony

Diese Experimente zeigen sehr gut welche komplexen Bewegungen unser Gehirn/Körper ausführen kann ohne dass wir uns dessen bewusst sind.

Ein weiteres jedem bekanntes Beispiel sind z.b. die automatischen Reaktionen wenn man an Spinnen, Ratten, etc. denkt oder Bilder/Videos davon sieht.
Unserem Bewusstsein ist klar dass in dem Moment in dem man ein Bild einer Tarantel sieht keine echte vorhanden ist - unser autonomer Teil interessiert sich dafür aber nicht und löst trotzdem die "passenden" Reaktionen aus: Gänsehaut, Ekel, etc.

Der autonome Teil kennt in seinen Reaktionen nur das Motto "lieber zu früh als zu spät".
Diese automatischen Reaktionen ziehen teils starke Veränderungen in der Muskelansteuerung nach sich; werden sie oft hintereinander ausgelöst dann können sich Muskeln auch dauerhaft verspannen. Deswegen ist es wichtig seine Umgebung möglichst so zu gestalten dass sie nicht noch mehr zur dauernden Reflexauslösung beiträgt. Dazu zählt die Positionierung des Schreibtisches, des Monitors und (meiner Meinung nach) die Auswahl an Signaltönen die man am Telephon oder Computer einstellen kann.

Man darf diese Phänomene (und hunderte andere) nicht einfach als Spielerei oder Kuriositäten abhandeln; wenn man das Gehirn verstehen will, muss man sich mit diesen Sachen eingehend beschäftigen, denn nur darüber erkennt man wie unser Gehirn arbeitet.

Und nur wenn man den autonomen Teil direkt beeinflusst, kann man effektive Therapien entwickeln und anwenden.

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